Die Drei von der Tankstelle
Die Zapfsäule röhrte, die Luft stank nach Sprit. Während ich den Rüssel aus dem Benzintank meines Autos zog, registrierte ich das Katzenkind. Es hatte es sich in den letzten Sonnenstrahlen des goldenen Herbstwetters auf meiner warmen Motorhaube gemütlich gemacht und putzte sich hingebungsvoll.
Es war ein wunderschönes Kätzchen, silbergrau mit dunklem Unterfell. Leider konnte aber dieser flauschige Pelz nicht verbergen, dass der Kleine nicht mit dem goldenen Löffel im Mäulchen geboren war. Er war klapperdürr. Ich näherte mich ihm vorsichtig. Sofort ging er in Hab-Acht-Stellung und sah mich aus großen, ängstlichen Augen skeptisch an. Ich begann, mit ihm zu sprechen und spürte, wie er sich entspannte. Hinter uns ging ein Hupkonzert los. Ich legte damit die kleine Tankstelle komplett lahm. In großen Sätzen verschwand der kleine Zwerg in den anliegenden Wald.
Plötzlich gab es 1.000 Gründe für mich, andauernd diese Tankstelle aufzusuchen. Ich beschloss, künftig morgens zu frühstücken -was ich seit Jahren nicht tat- und brauchte dazu unbedingt frische Brötchen, von der Tankstelle natürlich. Zufällig ging mir der Kaffee jenseits der Ladenzeiten aus, ich hatte nicht genug Geld und konnte leider immer nur noch 10 Liter tanken. Ich tauchte an dieser Tankstelle dauernd zu Fuß, per Fahrrad oder mit dem Auto zu jeder möglichen oder unmöglichen Tages- und Nachtzeit auf. Schnell stellte ich fest, dass der kleine Zwerg nicht alleine war. Er hatte eine Mama und ein Geschwisterchen. Wenn sie wegrannten, verfolgte ich sie so gut ich konnte durch den Wald. Nach einigen Wochen hatte ich ihren Zielort gefunden. Ein kleines, leerstehendes Häuschen am Ende eines Feldweges am Waldrand. Das Haus schien noch nicht lange unbewohnt zu sein, alles machte einen recht gepflegten Eindruck. Die Bewohner waren ausgezogen und hatten offenbar ihre Katzen „vergessen“. Vielleicht, weil aus einer plötzlich drei wurden und das so gar nicht geplant war? Die Katzen waren jedenfalls hier eindeutig zu Hause, auch wenn sie nicht ins Haus kamen. Ich schleppte palettenweise Dosenfutter an, das ich unter der Treppe des Hauses lagerte. Nachdem ich meine eigene fünfköpfige Katzenbande zu Hause gefüttert hatte, fuhr ich jeden Morgen und jeden Abend zu meinem geheimen Haus. Unzählige Male versuchte ich, die Katzenfamilie unauffällig zu fangen, um sie mitzunehmen – niemals gelang es, obwohl die drei durchaus zutraulicher wurden. Sie erwarteten mich bereits, begrüßten mich mit lauten und herzlichen Miaus, ließen sich streicheln und putzten sich nach dem Essen in aller Ruhe den Pelz, während ich auf einem dicken Kissen im Wintermantel auf den Stufen der Außentreppe hockte und fror. Ich erzählte ihnen von meinen Katzen und wie schön es ist, wenn man ein Zuhause hat, in dem man für immer bleiben kann. Sie hörten zwar zu, wirkten aber recht uninteressiert. Meinen eigenen Katzen erzählte ich auch von den dreien – wie leid sie mir tun und wie gerne ich sie doch bei uns hätte. Hier gäbe es ein Plätzchen für alle. Aber auch meine Katzen gähnten nur. Lediglich mein Kater Dickes, der „Sozialarbeiter“, spielte ein wenig mit den Ohren und sah mich leicht nachdenklich an, bevor er einschlief.
Es wurde kalt und kälter. Ich baute Styroporhäuser für die drei Katzen, die dankbar angenommen wurden. Ich kam zum Füttern, zum Spielen, zum Schmusen zu ihnen. Stimmungsvolle Kerzen und Lichterzauber in den Fenstern der Häuser kündeten von Weihnachten. Die Nächte hatten Pulverschnee gebracht, der still und sorglos von den weißen Dächern rieselte und zu Boden tanzte. Nur das Haus lag versteckt in völliger Dunkelheit. Über dem schneeverhangenen Dach hing eine schwere, dumpfe Ruhe, die ihren Ausgang nicht findet. Die einzige Erhellung waren die Tatzenfüße „meiner“ Katzen die sich wie Lichterketten über den puderzuckerweißen Vorhof des Hauses zogen, wenn ich mit meiner Taschenlampe nach dem Weg leuchtete.
Dann war er da, der Heilige Abend. Am Morgen dieses Tages saß ich wieder bei den Dreien auf der Treppe und weinte. Was mussten das für Menschen sein, die diese herzensguten Tiere alleine gelassen hatten? Ich verstand es einfach nicht und versprach, am Abend noch einmal mit einem besonderen Festmahl wiederzukommen. Heiligabend gibt es bei mir immer einen großen Braten, den ich einträchtig mit meinen Katzen teile. Das ist Tradition und meine Katzen wissen ganz genau, wann der Termin wieder gekommen ist.
Zu Hause war der Winterschlaf ausgebrochen, alle lagen herum, pennten oder bereiteten sich auf das große Fresschen vor. Nur Kater Dickes sah ich nicht. Der hatte sich in den letzten Wochen ein wenig rar gemacht. Na ja, ich habe Katzenklappen, da können die Herren kommen und gehen, wann sie wollen. Den Weihnachtsbraten würde er jedenfalls garantiert nicht verpassen! Als ich das gute Stück abends aus dem Ofen holte, hörte ich das Klipp-Klapp der Katzenklappe. Ach, Dickes kommt endlich, dachte ich. Aber dann noch mal: Klipp-Klapp. Und noch einmal. Und noch ein viertes Mal. Erstaunt sah ich auf. In die Küche stolzierte hoch erhobenen Hauptes mein Kater Dickes, hinter ihm liefen wie an der Schnur gezogen die Mama und ihre zwei Kinder und sahen schnurrend zu mir hoch.
Es war das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich jemals bekommen hatte. Noch nie hat allen das Essen so gut geschmeckt wie in diesem Jahr. Die drei von der Tankstelle sind niemals wieder dorthin zurückgekehrt. Der Weihnachtsbraten und die neuen Katzenfreunde sind eben unschlagbare Argumente.
© Dagmar Hollenstein
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