Ich barfe
Ich barfe. Bei mir gibt es nur noch Biologisch Artgerechtes Rohes Futter. Ich war es leid, morgens und abends beim Öffnen der Dosen auf unappetitliche Krampfadern und Lungenödeme alternder, zäher Wiederkäuer zu blicken. So etwas sollten meine Katzen nicht mehr zu essen bekommen. In einem speziellen Internetshop besorgte ich frisches rohes Fleisch für meine Süßen. Bald stellte ich fest, dass Fleisch für Tiere teils teurer war als das für Menschen im Sonderangebot im Supermarkt. Außerdem war es qualitativ auch nicht so, wie ich es mir vorstellte. Durchzogen von so komischen kleinen weißen Fasern, das war bestimmt Fett. Ich hasse Fett im Essen, meine Katzen also auch. Rinderbraten und Hüftsteaks vom Metzger kamen mir hingegen gerade recht. Und Hähnchenbrustfilet. Rinderhack und Putenschnitzel. Gelegentlich Leber. Meine Katzen waren begeistert, mein Geldbeutel weit weniger. Ich selbst beschränkte meine Mahlzeiten auf Kartoffeln mit Gemüse, ist ja auch viel gesünder. Eines Tages stellte ich fest, dass einige meiner Katzen nach wie vor Mäuse fingen und genussvoll verspeisten. Erst empfand ich das als persönliche Beleidigung, aber dann wuchs eine Idee in mir…
Den Gedanken an entzückende kleine gelbe Stubenküken verwarf ich schnell wieder. Aber simple Mäuse – die konnte man doch züchten! Ich besorgte einen kleinen Käfig und zwei Mäuse, nachdem ich mich ausgiebig erkundigt hatte, ob diese Sorte den Katzen auch munden würde. Frollein Lore und Herr Schmidt lebten sich schnell ein und bekamen noch schneller den ersten Nachwuchs. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich ein lustiges Rudel Mäuse. Ich hatte angefangen, die possierlichen Tierchen feierlich zu taufen und ihnen Namen zu geben, was sich bei den Mengen aber sehr bald als unmöglich durchführbar herausstellte. Ich ließ von einem Schreiner eine Mäuseaufzuchtanlage aufbauen, mit allem Schnick-Schnack, den ein Mäuseherz begehrt. Dafür stellte ich den Nagern mein Gästezimmer zur Verfügung, dessen Mobiliar ich in den Sperrmüll gab. Es kam sowieso nur selten jemand zu Besuch.
Bei den Katzenfütterungen an sich war ich nicht anwesend. Zu den Essenszeiten versammelte ich alle meine Katzen in der Küche, schnappte mir aus dem großen Käfig eine entsprechende Menge Mäuse -immer die Alten und Kranken zuerst sowie die Kleinkriminellen, die sich nicht benehmen konnten- und trug sie in einem Eimer in die Küche. Hier ließ ich sie laufen. Die Katzen hatten ihre helle Freude. Ich selbst verließ die Küche umgehend, schloss die Tür hinter mir und hielt mir auf dem Flur die Ohren zu. Dieses Fiepen und das Knacken der zarten Knöchelchen war für mich unerträglich und verabscheuenswürdig. Nach einer halben Stunde öffnete ich die Tür wieder, und eine zufriedene, gesättigte Katzenbande marschierte aus dem Raum. Fand ich im Laufe des Tages noch eine lebende Maus in der Küche, fing ich sie behutsam mit einem Saftglas ein und schenkte ihr das Leben. Offenbar war nicht vorgesehen, dass ausgerechnet diese Maus sterben sollte. Diese psychisch stark belasteten armen Seelchen bekamen im Mäusezimmer ein separates Plätzchen im eigens eingerichteten Sanatorium. Dort konnten sie sich in Ruhe von dem Schock erholen. Aber nach einiger Zeit war ich es leid, so viele Mäuse zu verfüttern. Täglich so eine Menge Tote auf einen Schlag; ich kam mir vor wie George Dabbelju, der den Irak ausrotten will.
Von einer Freundin erhielt ich ein Kaninchenpärchen, Berta und Fritz Klopfer. Auch sie bezogen ein stilvolles neu angelegtes modernes Areal in meinem Gästezimmer und zusätzlich ein riesiges Freiland-Außengehege im Garten. Sie sollten bis zu ihrem Tod ein wunderbares, artgerechtes Leben führen können. Ich kaufte bestes Futter und veredelte es mit Äpfeln, Kohlrabi und Feldsalat zur Gourmet-Mahlzeit. Ich pflanzte im Garten sogar ein Feld mit Löwenzahn an. Die Kaninchen dankten es mir mit rasanter Vermehrung. Und die Kleinen waren ja sooo süß! Unmöglich konnte ich die verfüttern, die mussten erst mal ein bisschen was vom Leben haben. Natürlich schlachtete ich auch die erwachsenen Tiere nicht selbst. Ich suchte ja noch nicht mal die jeweiligen Kandidaten aus. Zu diesem Zwecke engagierte ich einen Nachbarsjungen, einen gefühlskalten 18-jährigen Abiturienten, der sich etwas dazuverdienen wollte. Er suchte die passenden Tiere aus und fuhr sie mit dem Auto zum Metzger, der den Kaninchenleben auf humane Weise ein Ende bereitete. Zurück kam der Mördergehilfe mit Fleisch, das nicht mehr als Kaninchen zu identifizieren war, sauber und portionsweise abgepackt in Klarsichtbeuteln, bereit zum Einfrieren. An den Metzgertagen, wie ich sie insgeheim nannte, hatte ich regelmäßig eine schlimme Migräne.
Eines Tages erwischte ich meinen allergefräßigsten Kater, wie er dem zur nächsten Mahlzeit anstehenden Kaninchen liebevoll mit der Pfote über Ohren und Rücken strich. Das Kaninchen stupste den Kater daraufhin zärtlich in die Seite. Das Tor des Außengeheges war aufgegangen und die Klopfer-Familie lief im Garten herum, in beschaulich familiärer Eintracht mit meinen ach so rabiaten Katzen. Es war ein friedvolles, idyllisches Bild. Die Welt war in Ordnung an diesem sonnigen Nachmittag.
Im Supermarkt gibt es eine neue Sorte Dosenfutter, habe ich heute gesehen. Mit Kaninchen. Das mögen meine Katzen doch so gerne. Ich werde gleich morgen eine Palette davon kaufen.